1997
Bilduntertitel: Sieghard Gilles böse
Bilder im Kunsthotel "Leipziger Hof". Foto: Kempner
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Galerienbummel der besonderen Art
Kunstentdeckungen - zwischen Kabarett-Einlage, Mythos
und Präzision
Leipzigs Kunstszene ist die Landschaft, in der Peter Guth, ausgewiesener
Kunsthistoriker und -publizist, für uns regelmäßig
auf Entdeckungsreisen geht. Auf der Suche nach Überraschendem,
Wichtigem, Ausstrahlendem ... Auch diesmal wurde er fündig.
Station Leipziger Hof
Kabarett-Urgestein Gerhard Polt war eigens herbeigeeilt, um
für Freund Sighard Gille im Kunsthotel "Leipziger Hof"
die Ausstellung "A.O." zu eröffnen. Was er zur Kunst selbst
beizubringen hatte, war freilich nicht der Weisheit letzter
Schluß: Daß die Unterschiede zwischen Ost und West
in diesem Bereich so groß nicht seien, denn im allgegenwärtigen
"Röhrenden Hirsch" wäre längst vor der Wende
die Einheit vollzogen worden und es sei wahrscheinlich, daß
dies nun der gemeinsame künstlerische Beitrag zum vereinten
Europa werde. Naja. Immerhin war so der Grundtenor der Schau
umrissen: Ein kabarettistischer.
Das Kürzel "A.O." steht für Aufschwung Ost - den nämlichen
attacktiert Gille mehrfach. Ein mächtig dimensioniertes
Bild dieses Titel zeigt, wohin er zielt: Der große Kuchen
geht zu drei Vierteln an "die da drüben", der Rest an die
Leute hier. Gesehen werden darf das auch als Darstellung der
Lastenverteilung des Solizuschlags. Derlei wird sehr weit vorn
vorgetragen, durchaus auf Kosten der malerischen Qualität.
Da gerät auch ein Gruppenportrait, "Drei deutsche Maler"
(1997) zum Grenzfall: Heisig, Gille und Mattheuer als böse
alte Onkels die Tugenden des psychologischen Portraits sind
perdu.
Auf Mattheuer hat Gille zur Eröffnung noch extra draufgehauen:
Mit einer Paraphrase auf dessen Plastik "Jahrhundertschritt".
Bei Gille heißt das "Jahrhundertschwelle" und zeigt die
zerrissene Menschheit auf global-amerikanischem Donald-Duck-Fuß.
Doch letztlich wird der Betrachter versöhnt. Denn Gille
kann immer zeigen, daß er ein wichtiger Maler ist - und
er zeigt es auch hier: Mit sehr dichten, freilich bereits einige
Jahre alten Bildern wie "Teetisch" (1992), "Mathilde preußischblau"
(1992) oder "Nachfeier" (1994). Auch sein Selbstportrait "Professor
auf bergblau" (1993) ist bemerkenswert. Es enthält die
Substrate, die man schätzt: Farbkraft, Verve und Ironie.
Aber das ist nicht einfach Kabarett.
(Bis 30.1.) |